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Gießener Anzeiger  09.11.2004

       

Die liebliche Stimme Justitias

„Der Wegweiser zur Kunst spricht: Wenn Du fleißig bist, kannst Du in drei Jahren am Ziel sein! Das Jus spricht: In drei Jahren kannst Du es vielleicht zum Accessisten mit der zweiten Censur gebracht haben, bekommst auch 16 Groschen jährlichen Gehalt. Die Kunst fährt fort: Die Kunst ist frei, wie der Himmel: Die ganze Welt ist ihr Hafen. Das Jus zuckt die Achseln und sagt: Ich bin eine ewige Subordination vom Accessisten bis zum Minister und gehe immer in Manschetten und Chapeau-Bas. Die Kunst spricht weiter: Ich wohne bei der Schönheit und das Herz ist meine Welt und meine Schöpfung – ich bin frei und unendlich, componiere und bin unsterblich etc. Das Jus sagt ernsthaft: Ich kann Nichts bieten als Akten und Bauern, wenn es weit kommt einen Todtschlag – dann ist´s aber auch eine Freude; neue Pandekten kann ich durchaus nicht edieren etc. so seht ihr ALLE doch mich lieber arm und glücklich in der Kunst, als arm und unglücklich im Jus.“

Als der Komponist Robert Schumann, der in Leipzig das Jurastudium der Mutter zu Liebe begonnen und in Heidelberg fortgesetzt hatte, dies in einem Brief schrieb, konnte er nicht ahnen, dass im Jahre 1997 in Gießen ein weiterer Versuch unternommen würde, Musik und Jus miteinander zu versöhnen und den musischen Anteil der Tätigkeit in der Jurisprudenz auf erfolgreiche Weise freizulegen.

Bereits der bekannte Giessener Hochschullehrer Rudolf von Ihering hatte sich im 19. Jahrhundert nachhaltig und engagiert für das Giessener Musikleben eingesetzt. Mehr als 100 Jahre später, nämlich 1997, begann der Giessener Rechtsanwalt Turgay Schmidt, diese Tradition –im übrigen in der Bundesrepublik einzigartig- wiederzubeleben. Er gründete mit viel Zuversicht und ebensolchem Einsatz den Giessener Justizchor „Iustitia et musica“, dem ausschließlich im juristischen Beruf tätige Sängerinnen und Sänger angehören. Er konnte zunächst auf ein verlässliches Interesse und anhaltende Begeisterung eines kleinen Kreises bauen. Bereits kurze Zeit später war der Chor zumindest aus dem Giessener Juristenalltag nicht mehr fortzudenken. Schmidt formte aus der bloßen Interessengemeinschaft von Rechtsanwälten, Richtern, Staatsanwälten, Verwaltungsjuristen, Jurastudenten, Rechtspflegern usw. einen Klangkörper, der dann auch außerhalb juristischer Kreise bei öffentlichen Veranstaltungen durch zahlreiche Auftritte die landläufig irrige Auffassung vom ernsten Aktenstudium hörbar widerlegte.

Schon nach kurzer Zeit konnte damit der Grundstein für einen homogenen und stimmgewaltigen Chor gelegt werden, welcher sein Repertoire unter dem Taktstock von Schmidt der über eine musikalische und gesangliche Ausbildung verfügt, auf anspruchsvolle Chorliteratur wie Werken von Bruckner, Bach, Schütz, Mendelssohn- Bartholdy und Mozart ausdehnte. Heute präsentiert sich der aus über dreißig Mitgliedern bestehende Chor als eindrucksvoller und gereifter Klangkörper, der berufliche und musische Interessen in einer großen Spannbreite von Renaissance bis Pop ausbalanciert.

So wird man wohl unschwer sagen können, der Chor „Iustitia et musica“ ist zwar nicht die einzige Stimme Justitias, gewiss aber eine ihrer schönsten.